Gemeinsame Pressemitteilung zum Merkzeichen für taubblinde Menschen – in PDF zu lesen – download
Vor der Bundestagswahl wird es kein Merkzeichen für taubblinde Menschen mehr im Schwerbehindertenausweis geben. Die Verbände der Betroffenen fordern dieses Merkzeichen seit Jahren, damit Menschen mit Hör- und Seheinschränkung ihre Behinderung gegenüber Behörden nachweisen können. Nachdem es im November 2012 einen einstimmigen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und einen Antrag der SPD-Fraktion im Bundestag zum Merkzeichen gab, schien das Merkzeichen greifbar nah. Im weiteren Verfahren zeigten sich aber Barrieren. Während die schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit den erneuten SPD-Antrag im Bundestag im Juni ablehnte, waren die SPD-Länder mit dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgeschlagenen Verfahren nicht einverstanden.
“Taubblinde brauchen dringend eine sichtbare Anerkennung ihrer Behinderung. Wer diese Menschen zum Spielball des Wahlkampfes macht, hat überhaupt nichts verstanden”, empört sich Dieter Zelle, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden. “Bleibt nur zu hoffen, dass in der Politik nach der Wahl wieder Vernunft einkehrt und den politischen Lippenbekenntnissen für ein Merkzeichen endlich Taten folgen”, ergänzt Michael Gräfen von Leben mit Usher-Syndrom e.V.: “Eine zeitnahe konstruktive Schaffung des Merkzeichens ist unsere Forderung.”
Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis dienen dem Nachweis, dass man das Recht auf bestimmte Nachteilsausgleiche oder Sozialleistungen hat. Bei öffentlichen Stellen, Unternehmen und Ärzten ist Taubblindheit weitestgehend unbekannt. Ein Merkzeichen würde den Betroffenen helfen zu belegen, dass sie spezielle Assistenz, Dolmetschung, Hilfsmittel und Rehabilitationss-Angebote brauchen. Zusätzlich zum Merkzeichen müssen Rechtsansprüche auf diese Hilfen geschaffen werden.
Ein breites Bündnis von Verbänden, die im gemeinsamen Fachausschuss hörsehbehindert /taubblind (GFTB) zusammengeschlossen sind, setzen sich zusammen mit der Stiftung taubblind leben und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) seit Jahren für das Merkzeichen ein. “Nach der enttäuschenden aktuellen Entwicklung erwarten wir klare und verbindliche Aussagen der Parteien zum weiteren Vorgehen nach der Wahl”, sagt Irmgard Reichstein von der Stiftung taubblind leben.
Hintergrundinformation:
Bereits im März 2004 hat das EU-Parlament alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, Taubblindheit als Behinderung eigener Art anzuerkennen und den Rechten taubblinder Menschen Geltung zu verschaffen. Dies blieb lange ohne Wirkung.
Im März 2009 hat die Bundesregierung als 50. Land die UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung ratifiziert. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Meilenstein für die Behindertenpolitik und eine rechtsverbindliche Grundlage für die Rechte behinderter Menschen. Sie schafft seither konkrete Rechte und dringenden Handlungsbedarf.
Am 28. November 2012 hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz ASMK einem Antrag aus Bayern und NRW auf die Einführung eines Merkzeichens einstimmig zugestimmt. Ein Auslöser für diesen Antrag war die erste bundesweite Leistung für taubblinde Menschen: die Befreiung von Rundfunkbeiträgen ab Januar 2013. Auch wenn diese Leistung zweifellos nicht die Probleme taubblinder Menschen löst, so ist die Einführung eines Merkzeichens grundsätzlich ein sehr wichtiger und guter erster Schritt, um weitere und wichtigere Leistungen verankern zu können.
Parallel zu diesen Vorgängen hat die SPD-Fraktion am 27.11.2012 einen Antrag auf ein Merkzeichen und verknüpfte Leistungsverbesserungen z.B. im Bereich der notwendigen Kommunikationshilfen im Bundestag eingereicht. Der Antrag der SPD geht deutlich über die Frage des Merkzeichens hinaus und spricht u.a. wichtige Punkte wie die Notwendigkeit qualifizierter Assistenz, die hierfür erforderliche Assistenten- und Dolmetscherausbildung oder die Schaffung von Beratungs- und Kompetenzzentren an. Ausdrücklich wird gesagt:
“Die Einführung eines weiteren eigenständigen Merkzeichens für Taubblindheit würde in einem ersten Schritt dazu führen, dass die Sichtbarkeit der Behinderung und der damit verbundenen individuellen Bedarfe bei Leistungsträgern und in der Gesellschaft gefördert würde. In weiteren Schritten ist abzuwägen, welche spezifischen Leistungen für taubblinde Menschen in die Leistungskataloge aufgenommen werden können.”
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMAS begrüßte den Beschluss der ASMK und befasst sich seither mit der Umsetzung. Ziel war die Einführung des Merkzeichens als ersten Schritt in dieser Legislaturperiode und die Verankerung der Leistungen in einem zweiten Schritt. Dies entspricht dem von der SPD in ihrem Antrag vom November 2012 im Deutschen Bundestag vorgeschlagenen Vorgehen. Die Verbände und Vereine waren mit diesem Vorgehen einverstanden.
Am 18. Dezember hat das BMAS eine Anhörung der Verbände zum Thema Merkzeichen durchgeführt. In einer konstruktiven Gesprächsatmosphäre bestand Einigkeit über die Definition für ein solches Merkzeichen und das BMAS arbeitet seither an der Einführung. In der Frage der Definition folgt das BMAS im Einvernehmen mit den Verbänden und Vereinen der allgemein in der Fachwelt anerkannten Definition des Gemeinsamen Fachausschusses hörsehbehindert / taubblind (GFTB). Das Merkzeichen schafft die Voraussetzung, um die Unterstützung des Personenkreises gezielt und wirksam zu verbessern.
Gemeinsame Stellungnahme von:
Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden e.V.
Leben mit Usher-Syndrom e.V.
Gemeinsamer Fachausschluss taubblind/hörsehbehindert GFTB
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.
Stiftung taubblind leben
Im GFTB sind außerdem:
Arbeitsgemeinschaft der Einrichtungen für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen, Deutscher Gehölosenbund, Deutsches Katholisches Blindenwerk, PRO RETINA Deutschland e. V., Taubblindendienst, Verband der katholischen Gehörlosen Deutschlands, Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, Taubblindenassistenzverband